„Die Motivation der Lehrenden ist entscheidend“

Zwei Tage Bestandsaufnahme, konstruktive Kritik und engagierte Diskussion: Am 10. und 11. Oktober 2019 fand auf Initiative des Aktionsbündnis Arbeitsmedizin, unterstützt durch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), der Workshop „Qualitätssicherung arbeitsmedizinische Lehre“ statt. Rund 40 Lehrende aus dem Fachbereich Arbeitsmedizin folgten der Einladung in die Dresdner DGUV Akademie. Damit waren nahezu alle 38 deutschen Universitäten, an denen Medizin studiert werden kann, in der sächsischen Landeshauptstadt vertreten, zwei weitere Teilnehmer kamen aus dem Ausland und repräsentierten die Österreichische Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention (AAMP).

Ziel der Veranstaltung war es, Ideen und Vorschläge zur Weiterentwicklung der Lehre zu erarbeiten. Denn sie ist der Schlüssel: „Je besser die Veranstaltung, desto mehr Studierende sind da“, so die einfache, mit Blick auf die häufig spröde Vermittlung arbeitsmedizinischer Inhalte aber umso bedeutsamere Beobachtung des Studenten Martin Jonathan Gavrysh. Wie spannend Arbeitsmedizin vermittelt werden kann, erfuhren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem Workshop selbst: Am Nachmittag besuchten sie die „Gläserne Manufaktur Dresden“ der Volkswagen Sachsen GmbH, in der sie unter fachkundiger betriebsärztlicher Führung die Produktionsbedingungen für die Mobilität der Zukunft unter die Lupe nahmen.

Raus aus der Uni! Arbeitsmedizin braucht Praxis

Eröffnet wurde die Tagung mit zwei Vorträgen zum Thema „Was ist gute Lehre“, beleuchtet aus der Sicht eines Lehrenden und eines Studierenden. Für den arbeitsmedizinischen Hochschullehrer Professor Dr. Thomas Kraus von der Universität Aachen ist wesentlich, dass arbeitsmedizinische Inhalte als selbstverständlicher Teil des Medizinstudiums bei allen Themen mitgedacht werden. Beispiel Haut: Was gefährdet ihre Gesundheit, wie können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geschützt werden? Darüber hinaus sollten Lehrkräfte das Fachgebet in einem gelungenen Mix aus Theorie und Praxis, Präsenz-Seminar und Betriebsbegehung, Vorlesung und Interaktion vermitteln, um seine Vielfalt erlebbar zu machen. Der wichtigste Gelingensfaktor aber sind die Lehrenden selbst: „Ihre Motivation hat den größten Einfluss auf die Vermittlung des Fachs“, so Thomas Kraus. Eine Aussage, die Medizinstudent und Vizepräsident der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland, Martin Jonathan Gavrysh bedingungslos teilt: „Ich wünsche mir Dozentinnen und Dozenten, die nicht nur lehren, sondern Studierende in den Vorlesungen halten, indem sie die Leidenschaft für das Fach weitertragen.“ Die aktuelle Themen wie die Digitalisierung und Sprechende Medizin aufgreifen, mit Apps vertraut sind, fachübergreifende Kompetenzen vermitteln und – ganz banal – kontinuierlich da sind. Ein gravierendes Problem in der medizinischen Lehre ist, dass die Lehrenden häufig von Vorlesung zu Vorlesung wechseln – und damit keine tragenden Beziehungen zu den Studierenden aufgebaut werden können.

Wie gute Lehre gelingt: Tipps von Lehrpreisträgerin Dr. Henrike Steudel

Studierende mit Namen kennen, direkt ansprechen, niedrigschwellig an das Thema heranführen und durch eigene Begeisterung das Feuer des Lernens in ihnen entfachen: Das sind die wichtigsten Empfehlungen von Dr. Henrike Steudel, langjährige Lehrverantwortliche für Arbeitsmedizin an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. „Als Dozentin muss man nicht nur Wissen und Fähigkeiten vermitteln, sondern eine Haltung“, so die engagierte Hochschullehrerin, die 2015 mit dem Lehrpreis der Uni Bonn ausgezeichnet wurde. Man müsse Inhalte mit guter Didaktik vermitteln und theoretisches Wissen praktisch erfahrbar machen. Wie das gelingt? Sie ermutige ihre Studierenden, alle Medizinthemen auch unter arbeitsmedizinischen Aspekten zu betrachten. Sie lasse kleine Lehrfilme, Gefährdungsbeurteilungen, Poster und Karten für die Kitteltasche erstellen, die mit ihren präventiven Inhalten den Gewinn der Arbeitsmedizin erfahrbar machen. Und sie nutze bewusst Veranstaltungen, beispielsweise das Abschlussrepetitorium, um arbeitsmedizinische Themen kompakt zu besprechen: „Dort sind hundert Prozent Ihrer Studierenden zugegen – leichter können Sie sie nicht erreichen.“

Auf dem Prüfstand: Vorlesung, Praktikum, Seminar

Ganz konkrete Verbesserungen erarbeiteten die Teilnehmenden in den beiden Arbeitsgruppen „Vorlesung“ und „Praktikum/Seminar“. Wichtigste Erkenntnis zum Thema Vorlesung: Nicht abschaffen! Für das Studium ist sie nach wie vor essentiell – aber sie muss moderner, aufregender, gewinnbringender werden, beispielsweise durch mehr Aktualität, Wissenschaftlichkeit und Interprofessionalität. Webinare und E-Vorlesungen sollen ihr Angebot ergänzen. Um die Qualität der eigenen Vorlesungstätigkeit zu überprüfen, könnten fachkompetente Kolleginnen und Kollegen oder Videoaufzeichnungen hinzugezogen werden. Seminare und Praktika wiederum sollten attraktive Highlight-Themen wie Mobbing, Ergonomie, Arbeitsunfähigkeits-Tage, Burnout, Wirtschaft 4.0., Mutterschutz, Reisemedizin oder Betriebliches Wiedereingliederungsmanagement aufgreifen und mit Hilfe eines Methodenkoffers aus Leitfäden, Lehrfilmen und didaktisch aufbereiteten Materialien spannend darbieten.

Ausblick: Jede Ärztin, jeder Arzt sollte etwas von Arbeitsmedizin verstehen

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeigten sich sehr zufrieden mit dem Treffen. Die Urteile reichten von „gute Ideen und Anregungen erhalten“ über „konkrete Vereinbarungen getroffen“ bis zu „die Basis für ein Netzwerk ist gelegt“. Letzteres, so Professor Stephan Letzel, Vorsitzender des Aktionsbündnis Arbeitsmedizin, war das eigentliche Ziel: „An den Universitäten kämpft jede Fachdisziplin für sich allein. Alles muss an allen Standorten immer neu erfunden und entwickelt werden“, so der Leiter des Instituts Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz. „Diese Isolation konnten wir mit unserer Veranstaltung durchbrechen.“ Künftig wollen die Akteurinnen und Akteure stärker als bisher gemeinsam und strategisch vorgehen. Konkret verabredeten sie, eine Informations-Plattform zur Arbeitsmedizin aufzubauen. Darüber hinaus wollen sie die Unterstützungsangebote des Aktionsbündnisses für Studierende, Ärztinnen und Ärzte an den Hochschulen stärker bewerben und Gute Praxis-Beispiele sammeln. Im kommenden Jahr 2020 werden auch die Ergebnisse der aktuellen Befragung zum Studienangebot arbeitsmedizinische Lehre – Umfang, Lehrformen und Inhalte – an den 38 bundesdeutschen Universitäten vorliegen. Sie bilden unter anderem die Diskussions-Grundlage für den nächsten Workshop. Und der ist schon terminiert. Die nächste Veranstaltung „Qualitätssicherung arbeitsmedizinische Lehre“ findet am 20. und 21. August 2020 statt.

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    Zwei Tage, vierzig Teilnehmende, jede Menge Gesprächsstoff und ein gemeinsames Ziel: die Arbeitsmedizin zu einem integralen Bestandteil des Medizinstudiums zu machen. Wie? Zum Beispiel durch eine hochwertige Lehre. Ganz im Sinne von Professor Stephan Letzel, Gastgeber und Leiter des Instituts Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Universitätsmedizin Mainz: „Jeder Arzt braucht arbeitsmedizinische Kenntnisse.“

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    Was also macht das Studienfach Arbeitsmedizin attraktiv? Mehr Praxisbezug, mehr Interprofessionalität, innovative Lehrmethoden und aktuelle Inhalte! Das ist ein Ergebnis der Tagung „Qualitätssicherung arbeitsmedizinische Lehre“, zu der Professor Stephan Letzel als Vorsitzender des Aktionsbündnis Arbeitsmedizin im Oktober 2019 in die Dresdner Akademie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung geladen hatte.

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    Rund vierzig Hochschullehrende nahmen an der Tagung teil. Wie eine gute Vorlesung wechselte auch sie zwischen Vortrag, Gruppenarbeit und praktischer Anschauung: Nach einem informativen ersten Vormittag besuchten die Teilnehmenden die „Gläserne Manufaktur Dresden“ , Forschungs- und Innovationslabor der Volkswagen Sachsen GmbH.

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    Eröffnet wurde die Tagung durch Professor Dr. Thomas Kraus, Leiter Institut Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Uniklinik RWTH Aachen und Student Martin Jonathan Gavrysh, Vizepräsident Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V.. Ihr Thema: „Was ist gute Lehre?“ aus Sicht des Lehrenden und des Lernenden. Professor Kraus plädierte für die frühzeitige Berücksichtigung arbeitsmedizinischer Aspekte bei allen medizinischen Lehrinhalten, die in Frage kommen, beispielsweise „Haut“ oder „Herz-Kreislauf-System“. Zudem warb er für interaktive Lehrmethoden, fallorientiertes Lernen und E-Learning oder für den Einsatz von Simulationspatienten. Das A und O aber seien die Lehrenden: „Ihre Motivation ist das Entscheidende.“

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    Medizinstudent Martin Jonathan Gavrysh wünschte sich ebenfalls Dozentinnen und Dozenten, die die Leidenschaft für das Fach weitertragen. Was sie nicht nur über spannende Inhalte wie „Sprechende Medizin“, „Digitalisierung“, „Fachübergreifende Kernkompetenzen“ oder „Interprofessionelle Inhalte“ vermitteln könnten, sondern einfach auch durch Verbindlichkeit: Noch immer wechselten die Lehrenden von Woche zu Woche. Und: Was gelehrt wird, soll geprüft werden. Weg also mit dem Unnötigen!

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    Was macht gute Lehre aus? Dr. Henrike Steudel wurde als Lehrverantwortliche an der medizinischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Teil für ihre gute Lehre ausgezeichnet und nannte drei wesentliche Faktoren: 1. eine Haltung haben und begeistert sein. 2. Studierende beim Namen kennen und direkt ansprechen. 3. Immer und überall arbeitsmedizinische Inhalte mitdenken und Praxisbezüge herstellen. Beispiel: das Studium selbst. Ihre Studierenden analysieren potenzielle Gesundheitsgefährdungen und entwickeln dazu Schutzmaßnahmen. „Dadurch“, so Dr. Steudel, „vermittelt sich der konkrete Nutzen der Arbeitsmedizin ganz von selbst.“

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    Der zweite Workshop-Tag war ganz dem Erfahrungsaustausch gewidmet. Alles kam auf den Prüfstand: Vorlesung, Praktikum, Seminar. In zwei Gruppen erarbeiteten die Teilnehmenden dazu Ideen und Lösungen.

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    Dazu gehörte unter anderem ein Methodenkoffer, der innovative Lehrmethoden und -materialien enthält. Einig waren sich die Teilnehmenden darin, dass die Vorlesung nach wie vor unverzichtbar sei. Sie könne zwar durch E-Vorlesungen, Webinare und Seminare ergänzt, aber nicht ersetzt werden. Seminare wiederum sollten aktuellste Themen aufgreifen wie Burnout, Mobbing oder Reisemedizin. Wann immer möglich, sollten Lehrende den Kontakt zu den Studierenden suchen.

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    In der anschließenden Diskussion verabredeten die Teilnehmenden, dass eine gemeinsame Online-Plattform mit allen relevanten Informationen aufgebaut werden soll. Darüber hinaus wollen sie die Leistungen des Aktionsbündnisses für Studierende in ihren Hochschulen stärker bewerben und bis zum nächsten Treffen am 20. / 21. August 2020 weitere Gute Praxis-Beispiele für den Austausch sammeln.

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    „Ziel der Tagung war es, sich austauschen, zu vernetzen und voneinander zu lernen“, so Professor Stephan Letzel, dessen Aktionsbündnis Arbeitsmedizin die Veranstaltung initiiert hatte. Zurzeit laufe eine Befragung zum Studienangebot an allem 38 Universitäten mit Lehrstuhl Arbeitsmedizin. Die Ergebnisse werden weiter Aufschluss geben über die Güte und mögliche Entwicklungsperspektiven. Diese können durch das neue Netzwerk gefördert werden. Professor Letzel: „Der Anfang ist gemacht.“