Weniger Kontrolle und Hierarchie, mehr Vertrauen und Partnerschaft

Lehr- und Lernerfahrungen aus dem Online-Sommersemester 2020

Von der Vollbremsung zur Höchstgeschwindigkeit: Erst legte die Pandemie den gesamten Uni-Betrieb lahm, dann schickte sie deren Angehörige im Eiltempo in die virtuelle Lehre. „Wir haben Tag und Nacht an einem guten Start gearbeitet“, berichtet rückblickend Professor Stephan Letzel, Vorsitzender des Aktionsbündnisses Arbeitsmedizin und Leiter des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin an der Universitätsmedizin Mainz. Und resümiert: „Online-Lehre ist möglich – aber man muss sie sehr gut vorbereiten.“

Lehre und Studium im Umbruch

Rund 25 Arbeitsmedizinerinnen und Arbeitsmediziner aus dem gesamten Bundesgebiet nahmen am 5. Oktober 2020 an der Videokonferenz „Gute digitale Lehre: Wie sichern wir die Qualität?“ teil. Ziel war es, Erfahrungen, Tools und Methoden auszutauschen und einen gemeinsamen Pool für Lehrmaterialien für die arbeitsmedizinische Lehre an den Universitäten einzurichten. Dabei wurde deutlich, wie sehr sich Lehre und Studium unter den Bedingungen der Pandemie verändert haben: Lehrinhalte werden mit spielerischen Methoden wie „Game Based Learning“ vermittelt, Vorlesungen – soweit möglich – unter didaktischen Gesichtspunkten radikal auf circa zwanzig Minuten gekürzt. Unterschiedliche neue Tools werden getestet (und von manchen wieder verworfen: „Es hat mich Stunden gekostet, das Programm zu beherrschen, nur um dann festzustellen, dass es auch nicht mehr kann als PowerPoint!“), das Für und Wider verschiedener Videokonferenzsysteme (Webex, MS Teams, Zoom, Skype) erprobt. Großen Anklang finden Power-Point-Präsentationen mit Tonspur, Hybrid-Veranstaltungen aus Webinar und Selbststudium, spielerische Aufbereitungen über Filme, Links und Wettbewerbe. Und: Not macht erfinderisch. Als an allen arbeitsmedizinischen Lehrstühlen die Betriebsbegehungen für Studierende ausfielen und damit die Chance, die arbeitsmedizinische Praxis kennen zu lernen, griff Professor Peter Deibert vom Freiburger Institut für Sozial- und Bewegungsmedizin zur Handy-Kamera. „Wir haben an unserem Institut ein Heizkraftwerk“, berichtete er. „Das haben wir kurzerhand abgefilmt, verschiedene Arbeits- und Risikosituationen dargestellt und dazu Fragen gestellt. Das kam ziemlich gut an.“ Nicht zuletzt hat sich auch das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden verändert: weniger Kontrolle und Hierarchie, mehr Vertrauen und Partnerschaft. „Wenn Studierende sagen, sie haben das Praktikum absolviert“, so Professor Letzel, „dann haben sie das.“

Auch die Studierenden zufrieden mit der digitalen Lehre

Laut aktueller Befragung von rund 3.000 Studierenden an der Universität Mainz (von 30.000 = 10 %, davon Medizin-Studierende = 11 %) bewertete der überwiegende Teil aller Studierenden die digitale Lehre als nicht abträglich für das Studium. Allerdings befürchtete mehr als die Hälfte der Medizinstudierenden, dass sie mehr Zeit für das Online-Studium aufbringen müssten, mehr als ein Drittel, dass ihre Leistungsfähigkeit gelitten habe. Im Vergleich zu allen Befragten aber ging nur jeder bzw. jede 15. Medizinstudierende davon aus, dass sich der Abschluss des Studiums durch die coronabedingten Einschränkungen verzögern werde. Bei allen befragten Studierenden war das knapp ein Drittel.

Zum Abschluss der anderthalbstündigen Videokonferenz regte Professor Letzel die Einrichtung einer Online-Plattform zur Arbeitsmedizin als „Börse“ an. In ihr soll man erprobte Online-Tools und Lehrmaterialien – der Film von Professor Deibert etwa – austauschen können. Der Vorschlag traf auf große Resonanz, denn: „Das Sommersemester war nur der Anfang“, so Christoph Seifert vom IPA-Institut der DGUV und der Ruhr-Universität Bochum. „Im Wintersemester müssen wir mehr liefern!“